Der interessante Fall 15: Nächtliche Bewusstlosigkeit

Der 43jährige Unternehmer erscheint in Begleitung seiner Frau. Die Ehefrau ist deutlich beunruhigter als der Patient selbst. In der Nacht zuvor sei sie durch ein lautes Fallgeräusch erwacht und habe ihren Mann im Bad am Boden liegend aufgefunden. Er sei auf dem Rücken gelegen, die Augen geschlossen, sie habe ein/zwei Zuckungen beider Arme gesehen. Auf lautes Rufen seines Namens und Tätscheln im Gesicht habe er zunächst nicht reagiert, nach etwa einer Minute habe er dann die Augen geöffnet, habe kurz etwas verwirrt gewirkt, habe sie dann aber sofort erkannt und berichten können, was passiert sei. Er sei mit Harndrang nachts erwacht, zur Toilette gegangen, nach Entleerung der Blase aufgestanden. Er könne sich an ein auf dem Rückweg auftretendes, kurzes Schwindelgefühl erinnern und danach erst wieder an das besorgte Gesicht seiner Frau über ihm am Boden liegend.
Der hausärztliche Internist hatte bereits einige Untersuchungen durchgeführt und wegen der beobachteten Zuckungen jetzt eine neurologische Untersuchung veranlasst.

Diagnose: Miktionssynkope 

Das Herz-/Kreislaufsystem muss im Liegen eine viel niedrigere Pumpleistung erbringen als tagsüber in aufrechter Position. Nach stundenlangem Liegen kann es passieren, dass das vegetative Nervensystem die Pumpleistung nicht schnell genug wieder hochfahren kann. Viele Menschen kennen das kurz auftretende Schwindelgefühl nach schnellem Aufstehen aus längerem Liegen. Hinzu kommt, dass die Entleerung der vollen Blase selbst einen vegetativen Reiz auslöst, der sich hemmend auf die Schlagkraft des Herzens auswirkt.
In der Summe kann das dazu führen, dass die Durchblutung des Gehirns für kurze Zeit nicht mehr ausreicht und der Patient bewusstlos zu Boden fällt. Im Liegen ist jedoch rasch die Durchblutung wieder intakt, so dass der Betroffene dann auch schnell erwacht.

Der Fall illustriert aber ein Problem, vor dem wir Ärzte häufig stehen, wenn jemand zum ersten Mal bewusstlos wird. Zwei grundverschiedene Ursachen von Bewusstlosigkeit sind dann immer voneinander abzugrenzen. Zum einen eine kreislaufbedingte Störung, die ihrerseits viele verschiedene Ursachen haben kann. Zum anderen kommt immer auch das erstmalige Auftreten eines epileptischen Anfalls in Betracht. Schwierig wird es vor allem dadurch, dass in diesen Fällen der Patient selbst am wenigsten zur Diagnose beitragen kann. Wer bewusstlos ist, kann sich natürlich auch hinterher an nichts erinnern. Wir sind also ganz entscheidend auf die Beobachtungen von anderen Personen angewiesen, die mit dabei waren.
Die von der Ehefrau berichteten wenigen Zuckungen können auch bei einer kreislaufbedingten Bewusstlosigkeit (sogenannte "Synkope") auftreten und beweisen keine Epilepsie. Vor allem die geschlossenen Augen und das rasche Aufklaren des Bewusstseins nach dem Erwachen sprechen hier für eine Synkope nach Blasenentleerung (im Medizinerjargon: "Miktion") entsprechend dem oben beschriebenen Mechanismus einer Kreislauf-Fehlregulation.

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